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Ich sitze mit meinem Laptop auf dem Schoß auf der Dachterrasse meines Riads in Marrakesch*, während ich diese ersten Zeilen am Morgen nach meiner Ankunft in Marokko tippe. Palmenwedel spenden mir Schatten, und eine luftige Brise weht von oben auf mich herab.
Meine Umgebung sieht aus wie aus einem Hochglanz-Magazin ausgeschnitten, und überall auf Instagram und Facebook bekomme ich neidvolle, lieb gemeinte Kommentare zugeworfen.
„Genieß es, es ist traumhaft dort!“ – „Ohh, ich wäre so gerne auch jetzt dort.“
Aber in mir tobt in den folgenden Tagen nach meiner Ankunft ein stetiger innerer Kampf. Der Kampf der vielen Stimmen in mir. Ein Beiprodukt meiner Introversion. Introvertierte Menschen haben ein buntes, reges Innenleben, sagt man. Meines gleicht in den meisten Fällen einer überfüllten Kirmes.
Bei allem, was ich hier in Marrakesch tue, türmen sich sofort die Fragen in meinem Kopf. Ich gehe in die Straßen der Medina, dem Stadtkern, und frage mich sofort, ob meine Kleidung angemessen genug ist. Ist mein Rocksaum zu kurz? Ist meine Hose zu eng anliegend? Warte, bedeckt mein T-Shirt meine Schultern wirklich ausreichend? Wie viel Ausschnitt ist zu viel Ausschnitt?
Zwei Schritte weiter um die Ecke aus meiner Gasse heraus, in der meine Unterkunft, das kleine süße Riad, liegt, begegne ich den ersten Händlern, und die Fragen von eben werden durch neue ersetzt. Ist Blickkontakt schon eine indirekte Aufforderung, Kontakt aufzunehmen? Kann ich die bunten Tücher, die überall von der Decke hängen, anschauen, ohne gleich in das Geschäft eingeladen zu werden? Darf ich ein nettes, aber bestimmtes „Non, merci!“ mit einem Lächeln abmildern, oder ist das lediglich die Tür zu hartnäckigeren Verkaufsversuchen?
Diese Fragen werden mir entgegen meinem ersten Fragenberg zu meiner Kleidung schnell beantwortet.
Jede Art von Interesse, Blickkontakt, ein Blick nach oben, ein nettes Lächeln – ja, sie ermutigen die eifrigen Händler oftmals nur. Also setze ich ein grimmiges Gesicht und meine Sonnenbrille auf und meide jede Art von Blicken. Auch wenn es mich ein wenig traurig stimmt, denn so bekomme ich, ausgelöst durch diese Haltung, schnell auch etwas schlechte Laune.
Ich möchte eigentlich gar nicht so unfreundlich wirken, aber die Alternative wäre, relativ schnell genervt von all den Angeboten und Aufforderungen zu sein, die mich in diverse Geschäfte und zum Kauf von Dingen bringen sollen, die ich definitiv nicht brauche. Auch wenn sie wunderschön sind.
Das alles ermüdet mich, und gemeinsam mit dem chronischen Hang, mich zu verlaufen, in einer Stadt, die prädestiniert dafür ist und sich katastrophal mit meiner Orientierungslosigkeit gegen mich zu verschwören scheint, bin ich hier wortwörtlich oft verloren.
Also laufe ich jeden Tag oft nur ein bis zwei Stunden durch das Labyrinth der Märkte, der Souks aller Arten, bevor ich ein paar Tage später immer wieder zum Aufatmen zurück in meine zweite Unterkunft flüchte.
Hier erwarten mich Tarik und Hamid, die beiden, die das Riad führen, das in einem ganz eigenen Labyrinth am Rande der Medina liegt. Hierher würde sich niemand verlaufen, und nirgendwo steht ein Schild, das auf dieses kleine, schlichte Riad hinweisen würde.
Tarik betont bei meinem Einzug, dass es ihnen hierbei ganz bewusst darum geht, dem Massentourismus und der Kommerzialisierung Marrakeschs entgegenzuwirken und zu versuchen, den Touristen, die sich eher als Reisende in einer anderen Kultur sehen, auch wirklich einen Einblick in das authentische Marrakesch zu geben. Nicht nur das, was immer aufpolierter und Instagram-würdig in der Stadt Einzug hält.
Ich bin auch hier wieder zwiegespalten.
Mein erstes Riad war eher aus der zweiten Kategorie und hat mir den Einstieg in diese neue Kultur etwas erleichtert. In ein Bilderbuch zu hüpfen, hat die Ungewissheit des Unbekannten abgemildert.
Die beiden Französinnen, die mich am Rande der Medina an meinem Taxi in Empfang genommen und zu meiner ersten Unterkunft gebracht haben, gaben mir ein warmes Gefühl der Geborgenheit inmitten der Fremde. Die Besitzerin kam vor einem Jahr nach Marrakesch, nachdem sie sich bei einem Kurzbesuch haltlos in diese Stadt verliebt hatte, kaufte das Riad und blieb.
Hier bei Tarik tauche ich nun tatsächlich tiefer in das echte Marrakesch ein. Dieses Riad ist nicht als Business oder von ausgewanderten Europäern aufgebaut, wie so viele in der Medina. Er hat einen Job als Feuertänzer und ist oft und viele Stunden unterwegs. In der restlichen Zeit und zusammen mit Hamid zeigt er deutlich, dass sie sich über den Austausch mit den Gästen des Riads freuen.
Beide beantworten geduldig alle Fragen, die mir – so absurd sie für sie vielleicht sein mögen – in den Kopf schießen. Warum spritzen die Händler nachmittags überall Wasser auf die Straßen? Gibt es auch hier von Frauen geführte Kleinunternehmen? Und ich werde durch ihre Offenheit mutiger, auch kritischere Fragen zu stellen. Müssen Marokkaner für ihre Schulbildung zahlen? Wie steht es hier um den Feminismus? Ist er vorhanden? Und wenn ja, wie zeigt er sich? Gibt es auch kinderlose Singles?
Tarik antwortet ohne erkennbare Kritik oder Zurückhaltung. Als ich ihm erzähle, dass ich über meine Reisen schreibe, höre ich zum ersten Mal einen ersten Unterton in seiner Stimme, als er antwortet: „Damit trägst Du auch eine große Verantwortung.“ Ich nicke.
Der nächste Zwiespalt, der sich die ganzen Tage über in meinem Kopf hin und her wälzt. Wie kann ich all diese Eindrücke, die ich habe, so verpacken, dass sie weder als Warnung, Abschreckung noch als zu große und verblendende Ermutigung verstanden werden? Ich versuche es nach langer Überlegung also nun einfach mal gerade heraus:
Das Alleinreisen ist nicht immer einfach.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich das schreibe, aber ich fühle mich verpflichtet, es immer wieder zu wiederholen.
Es ist unglaublich lohnenswert und ich wachse an jeder Reise, die ich nur in meiner eigenen Gesellschaft verbringe. Aber in manchen Ecken der Welt ist es auch teilweise eine Last. Niemandem anvertrauen zu können, was in meinem Kopf vor sich geht, oder zu fragen, ob ich mir dieses oder jenes nur einbilde, ist nicht immer rosarot. Besonders hier, wo jede Situation so viele verschiedene Facetten hat.
Kultur. Religion. Gemeinschaft. Familie. Geschäft. Höflichkeit. Respekt.
Und trotzdem weiß ich, dass, wenn ich nicht alleine reisen würde, ich maximal die Hälfte dieser Aspekte wahrnehmen würde. Ich wäre zu sehr abgelenkt von Gesprächen, würde anders wahrgenommen und behandelt werden, und meine Erfahrungen wären komplett andere.
Ich sitze nun also weiterhin zerrissen hier.
Ein Teil von mir wünscht sich nach Australien, Kanada oder Spanien, wo mein Kopf nicht ganz so viele Achterbahnen auf seiner Kirmes fahren würde. Ein anderer Teil jubelt mit dem Herzen eines Kindes über all die wunderschönen Eindrücke, die ich hier sammele, oftmals durch die Linse meiner Kamera.
Mein Lieblingshobby und mittlerweile unverzichtbares Werkzeug, um die Welt wirklich zu sehen. Oftmals fängt sie Dinge ein, die ich zuvor gar nicht gesehen habe. Weil ich mit dem Blick für Fotos* viel bewusster durch die kleinen Gassen laufe oder Orte besuche, die ich sonst vielleicht nicht besucht hätte.
Meine Kamera ersetzt für mich also oft die Gesellschaft von Mitreisenden. So absurd es klingt.
Sie bringt mich dazu, jede Ecke zu inspizieren, und ersetzt das „Schau mal dort!“ eines Gegenübers. Auf der Suche nach schönen Bildern, die die Flut an Eindrücken einfangen, die mein Kopf in dieser Masse gar nicht speichern könnte, treibt es mich aus der Ruhe und dem Nest meiner Unterkünfte und hinein in das Gewusel und die Gefahr der Überforderung.
Immer wieder. Jeden Tag. Wie jemand, der mich gegen meinen Willen rauszieht, aber auch ganz genau weiß, dass es mir am Ende doch gefallen wird.
Das Alleinreisen ist nicht immer einfach.
Es ist manchmal anstrengend, mühsam, einsam, überfordernd, verkrampft und nervenzehrend. Aber es ist auch stärkend, (üb)erfüllend, atemberaubend und lohnenswert.
Es mag nicht immer ausgewogen sein zwischen diesen beiden Waagschalen. Je fremder das Land und die Kultur, desto mehr mag es mal in die eine und mal in die andere Richtung schwanken.
Aber am Ende des Tages, nämlich dann, wenn ich wieder an einem anderen Ort sitze und an diese Zeit zurückdenke, möchte ich keinen einzigen Moment davon eintauschen oder auslöschen. Weil ich aus jedem davon etwas gelernt habe. Sei es über mich, über fremde Kulturen oder andere Menschen.
Zusammengefasst lässt sich das Alleinreisen also wunderbar in einem einzigen Spruch zusammenfassen:
Wenn es holprig wird, steigt man nicht aus, sondern schnallt sich an!
Sylvia meint
Sehr schöne Gedanken! Ich kann mir gut vorstellen das es Vor- und Nachteile gibt wenn man alleine unterwegs ist. Da wir beide eine grosse Reiselust teilen, war ich das auch noch nie bisher. Es wäre jedoch sicher mal eine tolle Erfahrung.
Liebe Grüsse
Sylvia
Carina meint
Kann ich Dir absolut nur empfehlen, Sylvia!
Tina meint
Liebe Carina! Habe ich es richtig verstanden, dass du jetzt gerade durch Marokko reist? 🙂 Oder ist die Reise schon eine Weile her?
Ich bin gerade seit drei Wochen hier und besuche seit einer Woche eine Sprachschule in der Hauptstadt Rabat.
Um ehrlich zu sein, Marrakesch fand ich genauso überfordernd wie du. Ich kann die Begeisterung der vielen Backpacker nur bedingt nachvollziehen und bin 1000 mal lieber hier in Rabat, wo es entspannter, sauberer und weniger touristisch zugeht. Deshalb werde ich auch einige Wochen hier bleiben und versuchen etwas arabisch zu lernen 🙂
Ich würde mich freuen etwas von dir zu hören, gerne auch per Email, denn ich verfolge deinen Blog gerne und könnte mir vorstellen, dass wir uns vielleicht etwas austauschen können (falls du noch im Lande bist).
Ansonsten wünsche ich dir gute Besserung für den obligatorischen Kulturschock und die Reizüberflutung, und bin sicher dass es sich am richtigen Ort in Marokko ganz anders verhält!
Die meisten davon habe ich auch noch nicht gesehen, aber ich habe ja noch bis Mitte Dezember Zeit.
Ganz liebe Grüße!
Tina
Tina meint
Den wahrscheinlich wertvollsten Tipp für Marokko habe ich aber glatt vergessen, ich bekam ihn von zwei Mädels im Surfcamp:
Ladet euch offline-Karten der Städte auf euer Smartphone! So steuert man zielsicher auch ohne Roaming durch jede Medina und findet auch ganz sicher wieder heraus und zur (vorher markierten) Unterkunft. Faux guides kann man so ganz locker links liegen lassen. Nur auf das Telefon in der Hand sollte man dabei besonders gut aufpassen und es möglichst oft wegstecken oder verdecken.
Ein Lebensretter auch für mich Orientierungslose und ein echter Gewinn auf Reisen! Verrückt, dass ich das bisher einfach nicht wusste.
Carina meint
Hi Tina,
ja, ich bin momentan in Marokko 🙂
Mittlerweile auch schon drei Wochen unterwegs und nun weiter im Norden angekommen, wo es mir auch deutlich besser gefällt. Die klassischen Großstädte nach Marrakech habe ich nun auch gemieden und teile Deine Ansicht, dass es, je untouristischer, auch gleich deutlich leichter wird. (Meknés kann ich Dir sehr empfehlen!) Allerdings werde ich von meinem letzten Stop nun per Fähre nach Spanien übersetzen. Aber ich wünsche Dir noch eine spannende Zeit und würde mich freuen von Dir zu lesen, wie Du Deine Reise dann rückblickend empfindest!
Ganz liebe Grüße und danke, für Deine Worte!
Carina
P.S. Ja, die Offline-Karten nutze ich auch seit Jahren und wäre ohne sie verloren 😀 Die App Maps.me ist da mein absoluter Favorit und jahrelanger Begleiter.
Jule meint
Hallo Carina,
selbst erst ein paar Tage aus Marrakech zurück, kann ich deine Zerissenheit bestätigen. Auch ich habe in einem Riad in der Medina nette Reisende und Einheimische kennen und lieben gelernt. Und jeden Tag habe ich mich wieder verlaufen in den Souks – einmal falsch abgebogen: Zack, halbe Stunde Umweg 🙁
Auch die Experimente mit Freundlichkeit vs. Pokerface sind unentschieden ausgegangen. However, es war eine schöne, wichtige und interessante Erfahrung für mich, hat mir meine physischen und psychischen Grenzen aufgezeigt und die Erkenntnis bestätigt, dass das Wiederheimkommen ein wichtiger Bestandteil meiner Reisen sind.
Jetzt hat mich der Alltag wieder und ich habe beschlossen, meine nächsten Reisen wieder nicht ganz so weit und doch lieber mit dem Auto oder mit dem Zug zu planen. Das ganze Drumherum um das Fliegen ist nicht ganz so meins 😉
Aber gern will ich dir und deinen Erlebnissen weiter folgen – du bist mein Fenster zur schönen weiten Welt!
In diesem Sinne bleib stark und gesund, meine Liebe
Herzlichst, Jule
Carina meint
Liebe Jule,
freut mich aber dann umso mehr, dass Du diese Reise gemacht hast!
Und vielleicht gibst Du Marokko noch mal eine zweite Chance mit jemandem, der mitreist.
Das mit der Fliegerei kann ich so gut verstehen… ich versuche auch bei meiner Winterflucht nur einmal den Kontinent zu wechseln und dann so viel wie möglich über Land zu reisen. Marokko habe ich nun mit Zug und Bussen erkundet und werde es per Fähre verlassen (dann muss ich allerdings leider von Spanien aus zurückfliegen – ich hätte super gern den ganzen Weg zurück nach Deutschland mit dem Zug bestritten, aber da geht mir dann die Zeit aus…) – das sollte also gerade in Europa gar kein Problem und sicher toll sein!
So sieht mal auch viel mehr auf seinen Reisen.
Ganz liebe Grüße,
Carina
Kirsten meint
Liebe Carina,
Danke für deinen Beitrag. Ich kann dich so gut verstehen & freue mich, dass ich bei meiner Reise nach Marokko eine Person an meiner Seite hab, um mich auszutauschen. Ich bin ja auch eher die Introvertierte & da kann es sicher nicht schaden, noch eine weitere Person dabei zu haben.
Aber ich finde es toll, wenn mensch, so wie du, an Menschen, die vor Ort leben, z.B. Riadbesitzer*innen Fragen stellen kannst. Ich finde das auf Reisen auch immer sehr wertvoll.
Viele Grüße Kirsten
Carina meint
Hi Kirsten,
ja, ich glaube, meine Hosts haben diese Reise wirklich „geretttet“ in dieser Hinsicht. Mit ihnen hatte ich größtenteils wirklich großes Glück. Ich finde es zwar ein bisschen schade, dass die Hosts die ich hatte und dann gut genug Englisch gesprochen haben, ausschließlich Männer waren (ich hätte zu gerne mal die Sicht der marokkanischen Frauen kennengelernt) aber vielleicht ja bei der nächsten Reise mal.
Viel Spaß auf eurer Reise!
Carina
Katrin von ilovetravelling meint
Liebe Carina,
Marokko ist so wunderschön, dass ich immer wieder hinreisen würde. Nur nicht unbedingt alleine. Du hast so verdammt ehrlich geschildert, wie es wirklich alleine als Frau in Marrakesch ist. Ein paar Dinge verdrängt man nach der Reise und im Kopf existiert dann nur noch das typische romantische Bild, wie man es sich schön malt und wie man es auf Fotos sieht. Eben das Image, das die „schönen, bunten und duftenden“ Souks und Märkte in Deutschland haben. Durch die Medina bin ich auf dem Weg zum Riad auch immer wieder geirrt, am Ende habe ich von jeder Ecke ein Foto geschossen und mich daran orientiert. Leider bin ich erst am vorletzten Tag darauf gekommen :/ In der Mitte laufen fand ich aber wegen der vielen Mopeds und Eselskarren schwierig.
Ich wünsche dir eine schöne Zeit in Marokko!
Katrin
Ruth figura meint
Ich unterschreibe sofort! Alles!
Ich war 10/2018 in Marrakech- welch ein bezaubernder, fremdartiger, bunter, ruhiger, verstörender, gefangen nehmender Ort ……….. ruth